Heldenkollektiv

Immer wieder stelle ich hier ja mal echt gute Seiten, Fundstücke oder Empfehlungen vor. Heute ist die echt tolle Vernetzungsplattform Heldenkollektiv dran – eine wunderbare Idee, Familien mit Kindern mit Behinderung sichtbarer zu machen.

Genau daran mangelt es ja oft: Wir sind allzu oft isoliert, ausgegrenzt, unerhört und unsichtbar. Plattformen wie das Heldenkollektiv können helfen und das ändern.

Wie so oft ist auch das Heldenkollektiv aus einer Elterninitiative entstanden. Dass die Idee und die Umsetzung großartig ist, hat sogar eine Fachjury erkannt und das Heldenkollektiv auf die Shortlist des Social Design Awards 2023 (Oberthema: Wir füreinander) des SPIEGEL gesetzt! Respekt!

Ich habe mich jedenfalls auch beim Heldenkollektiv angemeldet. Eine Wundertüte wie ich passt da doch perfekt rein… 😉

Barrieren im Kopf

So kurz vor Weihnachten muss ich hier mal eine Episode loswerden, die so rein gar nichts mit „besinnlicher Weihnachtszeit“ zu tun hat – sondern leider mit weiterhin vorhandenen Barrieren im Kopf… 🙁 .

Am Samstag war ich mit meinem Buddy Christina auf dem Osnabrücker Weihnachtsmarkt unterwegs. Das ist auf der einen Seite mit dem Gedränge und den Kabelbrücken auf dem Kopfsteinpflaster echt „Rolli-herausfordernd“. Auf der anderen Seite ist das für mich auch total spannend, die besondere Atmosphäre zu erleben.

Na klar wollten wir auf dem Weihnachtsmarkt auch was essen – das gehört ja nun mal auch dazu. Beim Essensstand hat Christina dann nach einem zweiten Pappteller gefragt, um das Essen einfacher mit meinem mitgebrachten Essbesteck mundgerecht für mich zuschneiden zu können. Die Antwort: „Wofür brauchen Sie den denn? Einen zweiten Pappteller geben wir aber nicht raus!“ Auch als Christina auf mich zeigte und das erklärte, gab es weiter Unverständnis – und von hinten als I-Tüpfelchen noch die Aussage obendrauf, warum wir den „ganzen Betrieb aufhalten“ würden…

Diese sehr unschöne Episode zeigt sehr anschaulich, woran es in unserer Gesellschaft noch immer hapert. Wir „Unsichtbaren“ sind oftmals immer noch nicht vorgesehen auf solchen Großveranstaltungen wie dem Weihnachtsmarkt. Und wenn Menschen mit Beeinträchtigungen dort sind, stoßen wir genau auf diese Barrieren im Kopf. Das Ergebnis ist dann, dass sich viele ganz bewusst von solchen Veranstaltungen fernhalten.

Ich lasse mich von solchen Erfahrungen aber nicht entmutigen – und stürze mich weiterhin „ins Getümmel“. Denn genau das ist Teilhabe – auch wenn der Weg zu mehr Teilhabe noch sehr lang, steinig und schwierig ist…

Anerkennung oder Wegducken?

Papa hat heute einen Artikel gelesen, der bei ihm zwiespältige Gefühle ausgelöst hat. Eine Frau aus dem Landkreis Osnabrück hat die Niedersächsische Verdienstmedaille bekommen – weil sie über Jahrzehnte ihren Sohn mit Behinderung gepflegt und dafür alles andere aufgegeben hat. Ist das eine schöne Anerkennung von Care-Arbeit? Oder eher ein gesellschaftspolitisches Versagen?

Screenshot von noz.de

Zuallererst: Herzlichen Glückwunsch an Annegret Wehry! Ich freue mich wirklich sehr für sie, dass sie diese Auszeichnung erhalten hat. Trägt die Auszeichnung und die Berichterstattung doch dazu bei, dass die Angehörigenpflege einmal mehr aus der Unsichtbarkeit geholt wird. Und dieses Engagement von Annegret Wehry ist in der Tat bewundernswert.

Gleichzeitig weiß ich genau, was hinter den euphemistischen Begriffen „aufopferungsvoll“ und „Lebensaufgabe“ steckt. Annegret Wehry wird alles der Pflege ihres Sohnes untergeordnet haben. Die Pflege des eigenen Kindes mit Behinderung bedeutet: 24/7 im Einsatz, kaum Entlastung, Dauer-Kampf gegen alle Barrieren und Widerstände, gesellschaftliche Isolation. Wie mag das in den 70er oder 80er Jahren erst gewesen sein?

Annegret Wehry wird sich vermutlich komplett zurückgenommen haben: Ihren Job hat sie aufgegeben, so steht es im Artikel. Was ist mit Hobbies, Zeit für sich, Zeit für Freunde? Gab es das?

Von daher ist die Lebensleistung von Annegret Wehry mehr als auszeichnungswürdig. Aber steckt hinter dieser Auszeichnung nicht noch viel mehr? Ist es nicht eigentlich auch ein Eingeständnis des Staates, der Politik und der Gesellschaft, Menschen mit Behinderung und deren pflegende Angehörige noch immer zu vergessen und nicht zu beachten?

Die häusliche Pflege wird noch immer nicht wertgeschätzt. Familien wie wir sind unerhört und unsichtbar. Das hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie eindrücklich gezeigt. Wenn dann eine bewundernswerte Frau wie Annegret Wehry ausgezeichnet wird, ist das auch das politische und gesellschaftliche Eingeständnis: „Wir haben Dich 53 Jahre nicht im Blick gehabt und nahezu nichts dafür getan, Dich und Deine Familie zu entlasten.“

Dennoch hoffe ich, dass viele weitere pflegende Angehörige eine solche Auszeichnung erhalten. Verdient haben es alle.