#(W)OrteFürAlle

Viele von Euch haben bestimmt schon die aktuelle „Aktion Mensch“-Kampagne #OrteFürAlle gesehen. Eine Inklusions-Kampagne, die ja was bewirken soll. Allerdings wohl nicht hier bei uns in Osnabrück – wie der derzeitige Kommunal- und OB-Wahlkampf erschreckenderweise zeigt…

Aber zunächst mal meine Gedanken zur #OrteFürAlle-Kampagne: Grundsätzlich finde ich die Kampagne gut, da sie sehr anschaulich auf die sichtbaren Barrieren hinweist, die wir Menschen mit Behinderung Tag für Tag erleben.

Aber es gibt ja nicht nur die sichtbaren Barrieren – noch entscheidender sind die unsichtbaren Barrieren, die der Inklusion so sehr im Weg stehen. Das sind die noch immer und überall vorhandenen Berührungsängste und die Tatsache, dass Menschen mit Behinderung weitestgehend unsichtbar und unerhört sind.

Daher ist die Kampagne für mich ein erster Schritt – dem viele weitere folgen müssten, um die Inklusion weiter vorantreiben zu können.

Was hat das nun mit dem Kommunal- und OB-Wahlkampf zu tun? Eine ganze Menge… Wer sich die Mühe macht, den (hier in Osnabrück erschreckend tranigen!) Wahlkampf zu verfolgen und sich die Programme der Kandidaten ansieht, findet zum Thema Inklusion: nichts. Zwar taucht das Wort vielleicht mal auf – dann aber nur mit einem oder zwei Allerweltssätzen…

Keine Konzepte, keine Ideen, keine Impulse. Nichts. Was für ein Armutszeugnis. Dabei wäre es doch so einfach gewesen, die „Aktion Mensch“-Kampagne für Osnabrück zu adaptieren: Was wäre mit Schlagworten wie #WohnenFürAlle, #MobilitätFürAlle, #SportFürAlle, #KulturFürAlle oder gar #OsnabrückFürAlle? Welche tollen Projekte ließen sich dahinter entwickeln? Das muss allerdings auch gewollt sein…

Dass es anders geht, hat die Stadt Osnabrück ja schon bewiesen: Neuerdings gibt es die „Erlebniswochen 60+“ für Menschen ab 60. Das ist eine wirklich gute und frische Weiterentwicklung der echt sehr verstaubten Seniorenwochen. Warum lässt sich das nicht auf die Inklusion übertragen? Warum entwickelt die Stadt keine Inklusionswochen als #OsnabrückFürAlle? Da drängt sich einfach der bittere Verdacht auf, dass Menschen mit Behinderung nicht die Lobby haben wie die große Wählergruppe der Rentner…

Papa hat dazu übrigens den ersten Leserbrief seines Lebens geschrieben. Was glaubt Ihr: Hat unsere regionale Tageszeitung den abgedruckt? Na? Richtig erraten: Natürlich nicht… So was schafft ja keine Klicks…

Bitteres Fazit meiner #(W)OrteFürAlle: Wir bleiben selbst in Wahlkampfzeiten weiterhin unsichtbar und unerhört. Ich lasse mich davon aber weiterhin nicht entmutigen!

UPDATE, 11.9.: Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Unsere regionale Tageszeitung hat am gestrigen Samstag doch tatsächlich Papas Leserbrief abgedruckt… immerhin…

Happy 2021! Na ja…

Zuallererst Euch allen ein frohes und vor allem gesundes neues Jahr 2021! Auf dass das neue Jahr besser wird als das alte… Ich bin und bleibe zuversichtlich – auch wenn das neue Jahr schon irgendwie doof beginnt…

Den Jahreswechsel habe ich erstmal gut überstanden. Zwar wurde auch hier um uns herum geböllert (ich frage mich, wo und wie die Böllerheinis das Zeug organisiert haben…) – trotzdem stand ich dieses Mal nicht senkrecht im Bett wie in den Vorjahren.

Und nun habe ich mich total auf die Schule gefreut. Ich weiß, dass das Thema Schule gerade ein ganz heißes Eisen ist: Die einen sagen: „Lasst die Schulen auf – so gut es geht!“ Die anderen sagen wiederum: „Macht die Schulen als Pandemietreiber zu!“ Irgendwie habe ich das Gefühl, beide Lager stehen sich unerbittlich und kampfeslustig gegenüber. Warum?

Klar, wir alle sind gereizt, hochbelastet und auch zermürbt. Klar hat sich die Politik leider zu wenig um Luftfilterkonzepte, Homeschooling-Strategien, Eltern-Sonderurlaub, Betreuungs- und Entlastungsangebote etc. gekümmert. Klar ist auch, dass uns alle nun die Versäumisse aus den Jahren VOR Corona einholen, weil das Thema Digitalisierung einfach verschlafen wurde. Und jetzt kriegen wir alle die Quittung.

Vergessen wurden also nicht nur wir „Unerhörten„, sondern eigentlich alle Schüler und Eltern. Das Resultat ist jetzt, dass alle unzufrieden sind – und das ist nicht gut und sogar leider gefährlich…

Eine Anekdote am Rande: Diesmal hat das Niedersächsische Kultusministerium die Förderschulen (wie meine) übrigens nicht vergessen (so wie im Frühjahr beim ersten Lockdown) – sondern explizit darauf hingewiesen, dass das jetzige Lockdown-Szenario an Förderschulen so wie das der Grundschulen sein wird. Also: Man ist doch lernfähig…

Ich persönlich habe insofern Glück, dass ich in die Notbetreuung falle. Sowohl Papa als auch Mama gelten als systemrelevant (für mich eines der Wörter des Jahres 2020…), so dass ich jeden Tag zur Schule darf. Wenn ich fit wäre – denn passend zum Schulstart habe ich mir eine Schniefnase geholt.

Als reine Vorsichtsmaßnahme hat meine Kinderärztin heute einen Corona-Abstrich gemacht. Jetzt warten wir auf das – hoffentlich, und davon gehen wir alle aus – negative Ergebnis. Ich kuriere meine Schniefnase jetzt in Ruhe aus und dann geht’s ab Montag für mich in die Schule plus Therapien etc.

Ich freue mich jedenfalls darauf – Mama und Papa übrigens auch…

Meine Corona-Gedanken 2

Es ist irgendwie ein Wechselbad der Gefühle: Auf der einen Seite meine Geburtstags-Geschenke-Auspack-Tage – auf der anderen Seite das, was am Samstag in Berlin abgelaufen ist. Und was bei mir und uns Angst, Fassungslosigkeit, Entsetzen und Ratlosigkeit auslöst.

Da gehen am Samstag tausende Menschen in Berlin auf die Straße: Nazis, Rechtspopulisten, Verschwörungsfanatiker, Apokalyptiker, Impfgegner und Weltverschwurbeler. Eines hat diese brandgefährliche Mischpoke gemeinsam: Sie sind reine Egoisten, pfeifen auf gesellschaftlichen Zusammenhalt und halten sich für was Besseres. Für eine Art übergeordnete Klasse. Was mir Angst und Bange macht.

Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass Menschen in diesen Zeiten Angst haben. Dass sie nicht alles ok finden, was die Verantwortlichen tun. Dass sie Fragen stellen, diskutieren und ermahnen. Das ist enorm wichtig und essentiell in einer funktionierenden und solidarischen Gesellschaft. Und das tue ich ja auch.

Wofür ich aber überhaupt kein Verständnis habe: Dass Menschen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung bewusst dafür missbrauchen, andere Menschen in Gefahr zu bringen. Wer auf Demos bewusst Abstandsregeln missachtet und keinen Mundschutz trägt, nimmt billigend und gewollt in Kauf, andere zu infizieren – und stellt sich somit als was Besseres dar und hält Risikopatienten für Abschaum. Nach dem Motto: Tja, dann seid Ihr selber schuld, wenn Ihr das bisschen Corona nicht vertragen könnt. Dann seid Ihr es auch nicht wert.

Mir wird speiübel, wenn ich die Bilder von Reichsflaggen, QAnon-Anhängern und Bill-Gates-Hassern sehe – und gleichzeitig frage ich mich, wie wir diese rapide Spaltung der Gesellschaft aufhalten können. Aufklärung, Aufklärung, Dialog, Dialog, heißt es dann schnell. Doch wie erreichen wir diese Leute noch?

Wir alle sind gefragt, mit den Menschen um uns herum darüber zu sprechen. Aber auch die Medien sehe ich in der Verantwortung: Wer seit Tagen rauf und runter – in bester „Clickbaiting-Manier“ – nur darüber berichtet, ob der erste Schultag in Niedersachsen nun eine halbe oder ganze Katastrophe wird, ist oder geworden ist und nur Maximal-Dramen heraufbeschwört mit provokativen Headlines mit einem Fragezeichen am Ende, wird seiner Verantwortung nicht gerade gerecht – und gibt den Verschwörungsfanatikern sogar Futter.

Nur Dramen und Möchtegern-Skandale sind daher der falsche Weg! Wo sind die Hintergrundberichte, wo die Einordnungen? Hat zum Beispiel jemand darüber berichtet, dass in Niedersachsen an einigen Schulen schon viel früher der Unterricht losging und wie sich alle darauf vorbereitet haben mit all den Herausforderungen? Nein – kaum ein Medium hat überhaupt registriert, dass an Förderschulen schon viel früher der Unterricht begonnen hat. Artikel und Berichte darüber? So gut wie Fehlanzeige – klammern wir mal diesen ernüchternden Lehrer-Hilferuf in der ZEIT aus. Und so bewahrheitet sich einmal mehr, dass wir die „Unerhörten“ sind und bleiben. Unsichtbar für die Medien, die Öffentlichkeit – und leider auch weiterhin für die Politik und die Entscheider. Schade und bitter.

Ich werde trotzdem nicht aufhören und mich weiter zu Wort melden. Weil es wichtig ist. Und vielleicht den ein oder anderen überzeugt, dass das, was wir am Samstag in Berlin erleben mussten, der falsche Weg ist.